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"Ein Glaubenskrieg, der mit harten Bandagen ausgetragen wird" - so urteilt ÖKO-TEST1 über die Diskussion, die sich um die Umweltverträglichkeit von Stoff- und Wegwerfwindeln rangt. Und wagt in den letzten Artikeln zum Thema lieber kein eigenes Urteil, sondern wartet auf eine aktuelle Studie.
Für viele Eltern ist die (in der Vergangenheit lange Zeit angenommene und von etlichen Umweltverbänden bestätigte*) bessere Öko-Bilanz von Stoffwindeln der einzig vorstellbare Grund, welche zu benutzen. Und so freute sich mancher, das schlechte (Öko-)Gewissen beruhigen zu können, als diese angezweifelt wurde. Daher wohl die "harten Bandagen"... Nun gibt es etliche Studien zu diesem Thema - im Prinzip kann sich jeder eine mit dem jeweils erwünschten Ergebnis herauspicken. Warum nur ist eine endgültige Aussage anscheinend so schwer, und warum sind die bereits bestehenden Studien nicht mehr aussagekräftig genug?
Bevor eine Studie durchgeführt werden kann sind eine Reihe von Vorannahmen zu treffen, die sehr unterschiedlich ausfallen können, z.B.:
Wer meint, bei einer Umweltbilanz müsse man lediglich das Müllaufkommen bei den Wegwerfwindeln und den Wasserverbrauch für das Waschen der Stoffwindeln gegen rechnen, irrt gewaltig. Die Punkte, die sich bei den einzelnen Windelarten negativ auf die Bilanz auswirken (können) sind folgende :
(Die Listen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit)
Alte Studien sind nicht mehr aussagekräftig genug, weil sie von falschen Annahmen ausgehen oder falsche Daten benutzen, bzw. diese einfach veraltet sind. Gerade bei den Vorannahmen wurden manchmal gravierend falsche Werte benutzt (oft - aber nicht nur - zu ungunsten der Stoffwindeln). Im Laufe der Zeit ändern sich beiderseits die Herstellungsverfahren, meist zu einer verbesserten Umweltverträglichkeit hin, und die Qualität der Produkte steigt.
Gerade auch die in Deutschland (teilweise heute noch) oft zitierte Studie ist heftig ins Gerede gekommen10 1. Sie wurde 1989 von der Bundesregierung in Auftrag gegeben, und von "Procter & Gambler" (Hersteller von Pampers) durchgeführt und finanziert. Man kam zu dem Ergebnis, dass "keine der beiden Windelarten (Höschen- oder Baumwollwindeln) bei Berücksichtigung sämtlicher Umweltaspekte, d.h. Rohstoffbedarf, Abfälle, Abluft und Energiebedarf, eindeutige Vorteile zeigt".
Das Ergebnis einer neuen und aktuellen Studie, die vom Umweltbundesamt (UBA) geplant ist, ist immer noch nicht in Sicht1. Ein Herr vom Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit bestätigte mir, dass die Windelproblematik in der Wichtigkeitsskala nicht gerade oben an steht. Solche Studien kosten den Staat viel Geld, wenn sich kein "Sponsor" meldet - und der findet sich oft nur, wenn jemand mit ausreichend finanziellem Hintergrund sich vom Ausgang einer Studie ein positives Ergebnis erhofft.
Selbst wenn die langersehnte neue Studie endlich zu einem Ergebnis kommt - kann man überhaupt ein allgemein-gültiges Urteil treffen, bei der die angenommenen Vorraussetzungen denen entsprechen, die für den einzelnen gelten? Zudem das Ergebnis ohnehin recht knapp auszufallen scheint, bzw. sich kaum Unterschiede in der Ökobilanz ergeben (das ist auch das Ergebnis der meisten älteren Studien). Ich kenne z.B. Eltern, die relativ ineffektive gebleichte Mullwindeln aus konventionellem Anbau benutzen, somit alle zwei-drei Stunden wickeln, ihre Windeln bei 95° waschen, in den Trockner stecken und obendrein noch bügeln. Andere kaufen Windelhöschen in kbA-Qualität, waschen mit wenig - durch die Heizung gewärmtem - Regenwasser, ökologischem Waschmittel, und hängen sie zum Trocken ins Freie. Es dürfte klar sein, dass sich die Öko-Bilanz hier gravierend unterscheiden wird. Das Pauschalurteil einer Studie ist also zunächst immer mit Misstrauen zu betrachten - und im Endeffekt muss sich vielleicht doch jeder ein eigenes Urteil bilden, und entscheiden woran er "glaubt".
Einerseits heißt dies, dass Wegwerfwindel-Benutzer bezüglich der Umwelt kein schlechtes Gewissen haben müssen. Andererseits, dass Eltern die es möchten, bei der Verwendung von Stoffwindeln einige Möglichkeiten haben, die Umweltbilanz zu verbessern. Denn viele der vorauszusetzenden Annahmen sind hier von den Eltern beeinflussbar. So können sie:
Bei Wegwerfwindeln haben Eltern kaum eine Möglichkeit, die Umweltbilanz positiv zu beeinflussen. Ob ungebleichte Wegwerfwindeln wirklich ökologischer sind ist umstritten. Der Verzicht aufs Bleichen (das ÖKO-TEST als völlig überflüssig wertet1) schont zwar zunächst die Umwelt. Aber im ungebleichten Zellstoff sind noch Reste des Holzanteiles (Lignin) auf der Faseroberfläche vorhanden, die hydrophob, also wasserabweisend, sind. Deshalb kann der Zellstoff seine Funktion, den Urin aufzunehmen, "Zwischenzupuffern" und weiterzuleiten, bis der Superabsorber ihn in Gel umwandelt (was eine gewisse Zeit dauert), schlechter wahrnehmen. Das bewirkt einerseits, dass mehr Material eingesetzt werden muss, und andererseits, dass der Urin langsamer und schlechter aufgenommen wird. Während sich z.B. die Aufnahmekapazität der "Moltex-Öko" eigentlich nicht gravierend von den meisten anderen Windelsorten unterscheidet, ist die Aufnahmegeschwindigkeit der Flüssigkeit wesentlich geringer1c. Somit dürfte sich zwar der Eindruck mancher Eltern, die "Moltex-Öko" sauge wesentlich weniger nicht bestätigen, jedoch wird das Baby eher nass - ein häufigerer Windelwechsel ist oft die Folge. Mehr Materialeinsatz und ein höherer Windelverbrauch wirken sich jedoch wieder nachteilig auf die Öko-Bilanz aus.
Eine weitere Alternative für eine bessere Öko-Bilanz wären verrottbare Fertigwindeln. Angeblich gibt es welche mit biologisch abbaubarer Hülle aus Maisfolie, die auf dem Kompost verrotten würde. Die genauen Fabrikate kenne ich leider nicht. In den USA ist eine Kombination aus Stoffüberhosen und Einmal-Wegwerfeinlagen die dann ebenfalls kompostierbar sind.